DE Gründungsurkunde des Vyšehrader Kollegiatkapitels
24.04.2020 | Der erste schriftliche Bericht über das Kanonikerstift auf dem Vyšehrad ist in der Chronik des Cosmas von Prag zu finden…
Der erste schriftliche Bericht über das Kollegiat- oder Stiftskapitel auf dem Vyšehrad ist in der Chronica Boemorum (Chronik der Böhmen) des Cosmas von Prag zu finden, in welcher der Vyšehrad des frühen 11. Jahrhunderts als eine befestigte Siedlung beschrieben wird. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wurde der Ort dank dem Fürsten Vratislaus II. (1061–1092), der 1085 die Königswürde erhielt, zur königlichen Residenz, die weiter ausgebaut wurde und dabei auch den spirituellen Hintergrund des fürstlichen Hofes bildete. Vratislaus stiftete hier ein Kollegiatkapitel und strebte zur gleichen Zeit eine Exemtion der Kanoniker von der Zuständigkeit des Prager Bischofs an. Das Kapitel war somit direkt dem Papst unterstellt.
Gründungsdatum
Das genaue Gründungsdatum des Kanonikerstifts lässt sich nicht genau feststellen. Ältere Forschungsliteratur führt das Jahr 1068 an und die Bestätigung durch Papst Alexander II. wird auf das Jahr 1070 datiert. Es handelt sich bei der Bestätigung jedoch wahrscheinlich um ein Falsum, in dessen Vorwort deutlich die Absicht zutage tritt, die Vyšehrader Kirche und die Kanoniker dem Schutz des Papstes in Rom anzuvertrauen. Das päpstliche Privileg bestätigt unter anderem auch eine Kirche, die als die Hauptkirche des Landes gestiftet und mit reichen Gütern versehen wurde. Die Kirche wurde vom Fürsten Vratislaus unter den Schutz des Hl. Peter gestellt und die jährlichen Abgaben an den Papst beliefen sich auf zwölf Talente. Die Exemtion der neuen kirchlichen Institution, d.h. ihre Herausnahme aus dem Zuständigkeitsbereich des Prager Bischofs, wurde dabei ebenfalls erwähnt: Der Bischof von Prag darf der Vyšehrader Kirche weder die Berechtigung zu taufen noch das Recht, Priester zu weihen, verweigern.
Gründungsurkunde
Die sogenannte Gründungsurkunde des Vratislaus II. ist undatiert, dafür aber in insgesamt vier Ausfertigungen erhalten. Formal bezieht sie sich auf das Jahr 1088. Der Inhalt der Dokumente ist fast identisch. Im Inventar des Archivs des Kollegiatskapitels liest man nach der Bearbeitung von Dr. František Beneš das folgende Regest: „Vratislaus, Fürst und Herrscher von Böhmen, belehnt den Propst Benedikt mit der Kirche St. Peter und Paul und St. Clemens in Vyšehrad."
Die älteste Ausfertigung ist die Urkunde A, in lateinischer Sprache auf Pergament geschrieben, das Siegel des Herausgebers ist leider zum großen Teil abgefallen. Die Entstehung dieses Dokumentes wird in die Mitte des 12. Jahrhunderts datiert.
Urkunden B1 und B2 sind Lateinisch auf Pergament geschrieben, das Siegel des Herausgebers ist zerbrochen und zum Teil abgefallen. Das Pergament von B2 ist an drei Stellen beschädigt, das Siegel zerbrochen. Die Urkunden entstanden wohl im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts. Erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstand die lateinische Urkunde C. Das Pergament von C ist in den Falten beschädigt, das Siegel ebenfalls zerbrochen.
Falsum?
Obwohl das Dokument aus vielen Gründen nicht als echt angesehen werden kann, ist davon auszugehen, dass der inhaltliche Kern auf faktischen Sachverhalten beruht und dass die Vorlage die bis heute unbekannte, echte Urkunde des Vratislaus bildete. Der Historiker Václav Hrubý vermutete, dass der Fürst die Urkunde irgendwann zwischen 1074 und 1085 abfassen ließ. Ein anderer Historiker, Gustav Friedrich, vermutete jedoch, dass sie erst von Vratislaus als König von Böhmen erlassen wurde.
Auch die moderne Geschichtsschreibung versuchte die Existenz der ursprünglichen, von Vratislaus verfassten Urkunde zu ermitteln und neigt nach den neuesten Forschungserkenntnissen zu der Ansicht, dass eine solche ursprüngliche Urkunde nie existierte und die überlieferte Fassung auf ältere schriftliche Dokumente zurückgeht.
Besonderheit
Ein interessanter Widerspruch, auf den Václav Hrubý hingewiesen hat, ist das Patrozinium der Kirche. Bei Papst Alexander II. ist es der Apostel Peter, aber in den oben genannten Dokumenten ist bereits von der Schutzherrschaft der Heiligen Peter und Paul die Rede.
Obwohl die Gründungsurkunden heutzutage als mindestens fünfzig Jahre jüngere Fälschungen gelten, stellen sie dennoch einen wertvollen Beweis für die Existenz des Kanonikerstifts und dessen Bedeutung dar, einschließlich der von ihm verwalteten Kirche. Heutzutage gehören diese Dokumente zu den wertvollsten auf dem tschechischen Gebiet erhaltenen Schriftdenkmälern, ebenso wie das Stiftskapitel zu den ältesten noch existierenden juristischen Personen in der Tschechischen Republik gehört.
Mgr. Jarmila Dubská, I. Abteilung des Tschechischen Nationalarchivs, redaktionell bearbeitet
Quellen- und Literaturverzeichnis:
Codex diplomaticus et epistolaris (epistolarius) regni Bohemiae, sog. Český diplomatář (CDB) I, 371-391 (Nr. 387)
Archiv kolegiální kapituly vyšehradské, Inventář listin (1088)–1879, Státní ústřední archiv. Praha 1963
Čumlivski Denko: Vyšehradská kapitula od založení do poloviny 19. století. In: Věra Brožová (Hg.): Vyšehrad – historické podoby. Praha 2000, S. 43–54
Hrubý Václav: Tři studie k české diplomatice. Brno 1936
Katrák Ondřej: Vyšehrad v době Vratislava II. Diplomová práce, UK KTF Ústav dějin křesťanského umění. Praha 2012, S. 52–62